Saluto- und Hygiogeneseforschung

Einleitung

Die Lehre der funktionellen Physiologie oder Hygiogenese wie sie Hildebrandt und seine Arbeitsgruppe geprägt haben, eröffnet methodische Ansätze für eine physiologische Gesundheitsforschung 1. Diese Methoden sind somit in besonderer Weise geeignet integrativ-medizinische Inhalte und Konzepte, die auf gezielte Förderung von Selbstheilungsprozessen fußen, angemessen darzustellen und somit einer wissenschaftlichen Überprüfung zu unterziehen 1. Dies betrifft in besonderem Maße auch die Anthroposophische Medizin.

Allerdings zeigte sich auch, dass chronobiologische Untersuchungen von Therapieprozessen aufgrund der längeren und häufig aufwendigen Messungen, nicht leicht umsetzbar sind. Um diese Lücke zu schließen, hat das FIH neue psychometrische Methoden entwickelt und evaluiert.

 

Konzeptualisierung der autonomen Regulation und ihr Bezug zur Hygiogeneseforschung

So wurde der Fragebogen zur autonomen Regulation und das Konzept der autonomen Regulation (aR) evaluiert 2.

Die Trait aR erfasst die konstitutionelle vegetative Regulation in Bezug auf die orthostatisch-zirkulatorische, Ruhe/Aktivitäts- und Verdauungsregulation in einer aus 18 Items bestehenden Lang- und einer aus 12 Items bestehenden Kurzversion 2,3. Die Validität zeigt dabei wesentliche Aspekte, die mit einer starken geistig-seelischen Präsenz assoziiert sind wie Gesundheit, Persönlichkeitspräsenz, hohe Thermoregulation und gute Lebensqualität 2.

Neben der erwähnten Trait aR-Skala ist zwischenzeitlich auch eine State aR-Skala mit vier Subskalen (Ruhe/Aktivitätsregulation, orthostatisch-zirkulative Regulation, Thermoregulation und Verdauungsregulation) entwickelt worden, die mit 18 Items sensitiv die vegetative Regulationsveränderung unter Therapie abbildet 4.

In verschiedenen Studien konnten diese Fragebogeninstrumente angewendet werden. Beispielsweise konnte ein autonomer Regulationsverlust und insbesondere eine Verlust der Ruhe/Aktivitätsregulation bei Mammakarzinom-Patientinnen gezeigt werden 2, 5. Der globale Verlust der aR und Ruhe/Aktivitätsregulation bei Mammakarzinom-Patientinnen weist dabei auf das häufig unter adjuvanter oder palliativer Therapie bestehende und in über 30% auch noch Jahre nach adjuvanter Therapie bestehende Cancer-related Fatigue Syndrom (CRF) hin 5-7. Zwischenzeitlich konnten wir auch eine prädiktive Bedeutung der aR für Langzeit-Fatigue und Distress bei Mammakarzinom-Patientinnen zeigen 8 und im Rahmen eines CRF-Interventionsprogrammes belegen, dass diese therapeutisch klinisch relevant verbessert werden kann 9.

Ebenfalls finden wir bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und 1 eine reduzierte aR mit Einschränkung der Ruhe/Aktivitätsregulation, was nur z. T. auf ein  assoziiertes Schlafapnoe-Syndrom 10 zurückzuführen ist 2. Diese Befunde legen eine prognostische Relevanz der aR für beiden Erkrankungen nahe, die allerdings in weiteren prospektiven Studien zu untersuchen ist. Zudem konnten erste physiologische Bezüge der aR gezeigt werden 3, die Hinweise auf eine mögliche Anwendbarkeit der aR-Skalen als psychometrische Methode zur Erfassung von Hygiogenese liefern.

 

Rhythmologische Messungen

Das zweite Standbein der Konzeptforschung zur Hygiogenese stellen valide physiologische Messmethoden zur differenzierten Erfassung unterschiedlicher Rhythmen, wie Herzfrequenzvariabilität, Quotienten aus Puls und Atmung (QPA) 11, Aktimetrie und Schlafmessungen mittels Polysomnographie dar.

 

Erfassung der salutogenetischen Kapazität

Das dritte Standbein besteht aus der Fragebogen-basierten Erfassung salutogenetischer (psychologischer) Fähigkeiten, wie sie mit der Sense of Coherence-Skala (SOC) 12, der Internen Kohärenz Skala (ICS) 13 oder der Selbstregulations-Skala nach Grossarth-Maticek gemessen werden 14, 15. Dabei ist die ICS eine kompakte 10 Item-Skala zur klinisch relevanten Erfassung von Kohärenz, Resilienz und dem Umgang mit Erkrankungen. Sie weist eine hohe Reliabilität und Validität auf 13, 16.  Für die Selbstregulation konnte belegt werden, dass sie einen Einfluss auf das Überleben von Mammakarzinom-Patientinnen und Patienten mit kolorektalen Tumoren aufweist 17. Sie kann einen prädiktiven Stellenwert für das Ansprechen von Brustkrebs-Patientinnen auf ein therapeutische Interventionsprogramm haben 18. Selbstregulation und Interne Kohärenz sind daher wegen ihrer potentiell prognostischen Bedeutung gerade für die integrative Medizin/Onkologie interessant 19.

 

Die weiterführende Forschung u.a. zur autonomen Regulation (aR) und Internen Kohärenz (ICS) und deren Anwendung erfolgt in internationaler Kooperation innerhalb der Saluto-Hygiogenetic–EvALuation-(S-HEAL)-Study-group.

 

Kontakt: gesundheits-psychometrie@fih-berlin.de

 

Literatur

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  2. Kröz M, Feder G, von Laue H, Zerm R, Reif M, Girke M, Matthes H, Gutenbrunner C, Heckmann C. Validation of a questionnaire measuring the regulation of autonomic function. BMC Complement Altern Med. 2008;8:26.
  3. Kröz M, Laue von H, Zerm R, Girke M. [Development of a Questionnaire for Endogenous Regulation - a Contribution for Salutogenesis Research]. Forsch Komplementär Med Klass Naturheilkd. 2003;10:70-77.
  4. Kröz M, Schad F, Reif M, von Laue H, Feder G, Zerm R, Willich S, Girke M, Brinkhaus B. Validation of the State Version Questionnaire on Autonomic Regulation (State-aR) for Cancer Patients. Eur J Med Res. 2011;16:457-468.
  5. Kröz M, Linke J, Gutenbrunner C, Girke M, Hecht K, Bockelbrink A, Dimeo F, Matthes H. Cancer Fatigue, disturbed rest/activity regulation and sleep disturbances with female patients with non metastatic breast cancer - a pilotstudy. Phys Med Rehab Kuror. 2010;20:152-157.
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  7. Gutenbrunner C, Girke M, Dimeo F, Matthes H, Kröz M. The Cancer Fatigue Syndrome - an overview. Phys Med Rehab Kuror. 2010;20:86-91.
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  11. Zerm R, Kröz M, Cysarz D, Frühwirth M, Moser M, Jecht M, Heckmann C, Girke M. Cardiovascular risk in diabetic patients determined by a newly developed questionaire of autonomic regulation (aR). In: New Horizons in Coronary Artery Disease. Proceedings of the 7th International Congress on Coronary Artery Disease  (ICCAD). Venedig, 7.-10.10.07: Medimond; 2007:281-285.
  12. Antonovsky A. Unraveling the mystery of health. How people manage stress and stay well. San Francisco, London: Jossey-Bass; 1987.
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  14. Grossarth-Maticek R. Systemische Epidemiologie und präventive Verhaltensmedizin chronischer Erkrankungen. Berlin, New York: de Gruyter; 1999.
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  17. Kröz M, Reif M, Büssing A, Zerm R, Feder G, Bockelbrink A, von Laue HB, Matthes H, Willich SN, Girke M. Does self-regulation and autonomic regulation have an influence on survival in breast and colon carcinoma patients? results of a prospective outcome study. Health Qual Life Outcomes. 2011;9:85.
  18. Kröz M, Reif M, Zerm R, Winter K, Schad F, Gutenbrunner C, Girke M, Bartsch C. Do we have predictors of therapy responsiveness for a multimodal therapy concept and aerobic training in breast cancer survivors with chronic cancer-related fatigue? Eur J Cancer Care (Engl). 2015.
  19. Kröz M, Pranga D, Zerm R, Friemel D, Reif M, Schad F, Matthes H, Girke M. Hat die Selbstregulation eine Bedeutung in der Behandlung von onkologischen Patienten? Deutsche Zeitschrift Onkologie. 2016;48:62-66.